Der Blutegel (Hirudo medicinalis) wird schon seit Jahrtausenden zu medizinischen Zwecken eingesetzt. Früheste Darstellungen stammen aus der ayurvedischen Medizin Indiens. Auch in der griechischen Medizin wurde der Blutegel als Therapiewerkzeug sehr geschätzt. So entstammt der heute gebräuchliche Begriff "Egel" dem griechischen "echis", was soviel bedeutet wie "kleine Schlange". Manche behaupten sogar, dass auf dem Äskulapstab, dem Symbol der ärztlichen Kunst, keine Schlange, sondern in Wirklichkeit ein Egel abgebildet sei.
Heute lösen Blutegel bei vielen Menschen erst einmal einen Ekeleffekt aus. Diese "Igitt"-Reaktion ist leider meist auf einer Reihe von Vorurteilen aufgebaut. Entgegen der landläufigen Vorstellung sind Egel keine Ekeltierchen - sie haben bei näherer Betrachtung eine sehr schöne Rückenzeichnung und einen äußerst eleganten Schwimmstil, vergleichbar mit dem eines Delphins. Ihr Biss ist kaum schmerzhaft und ähnelt einem Brennessel - oder Insektenstich. Eigentlich ganz logisch, denn die Egel haben in freier Natur ein Interesse daran, nicht bemerkt zu werden. Egel sind sensible Tiere, sie besiedeln nur reinste Gewässer.
Zur Therapie werden Zuchtegel verwendet, die unter kontrollierten Bedingungen aufwachsen und auch nur einmal angesetzt werden.
Genau genommen, beißen Egel auch nicht. Sie raspeln mit ihren Mercedesstern- förmigen Sägeleisten vorsichtig durch die Haut. Zwischen diesen Leisten liegen Öffnungen, durch die der Egel im weiteren Verlauf verschiedene Stoffe abgibt.
Hirudin hemmt die Blutgerinnung. Calin ist für die Nachblutung verantwortlich. Histaminähnliche Substanzen wirken gefäßerweiternd. Weitere Wirkstoffe sind nicht nur gerinnungs-, sondern auch entzündungshemmend; sie blockieren die bei Entzündungsreaktionen oder Traumen oft überschießenden enzymatischen Vorgänge.
Die Behandlung findet in der Praxis statt und dauert ca 1-2 Stunden.
Am Vortag der Behandlung dürfen keine Duftstoffe auf die Haut aufgebracht werden
Der Egel wird an die entsprechende Hautstelle angelegt. Die Saugphase dauert ca. 1 Stunde. Die Egel bleiben an der Stelle haften und kriechen auch nicht umher. Ist der Egel fertig, lässt er von selbst los. An der Bißstelle sickern nun Blut und Lymphflüssigkeit nach, die durch einen Verband aufgesogen werden. Hat die Blutung nachgelassen, erfolgt ein Verbandwechsel.
Die Domäne der Blutegeltherapie sind die venösen Erkrankungen. Auch entzündliche Erkrankungen können mit Blutegeln behandelt werden, ebenso wie bestimmte Gelenkerkrankungen, z.B rheumatischen Ursprungs. Die blutverdünnende und durchblutungsfördernde Wirkung macht man sich bei bestimmten Arten von Kopfschmerz und Ohrgeräuschen (Tinnitus) zu Nutze.
Die Blutegeltherapie kann nicht angewandt werden bei Patienten mit Blutgerinnungsstörungen, blutverdünnenden Medikamente(Marcumar/Heparin), Patienten mit schweren Lebererkrankungen, Anämien oder Erkrankungen, die mit einem geschwächten Immunsystem einhergehen.
Blutegel sind lebende Apotheken, deren Wirkung nicht durch den Blutverlust allein (insgesamt nur ca 40 ml), sondern vielmehr durch die von ihnen abgegebenen Stoffe gekennzeichnet ist. Die gerinnungshemmende, lymphstrombeschleunigende und gefäßkrampflösende Wirkung des Blutegelsekrets ist schon seit einiger Zeit im Blickwinkel der pharmazeutischen Industrie, die versucht diese Komponenten, z.B. in Form von Salben, zu verwerten. Allerdings ist es hiermit wie mit einem guten Film: das Original ist meistens besser.
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